Die 1.500 einsamen Meter, die sich im Sommer durch die kleine Ortschaft Ischgl schlängern, kennen Biker nur vom Durchfahren. Kaum einer hält an. Hotels sind geschlossen und viele Einwohnern, Hotelangestellte, vor allem aber die Touristen entgehen der Sommerdepression, indem sie beispielsweise auf den Inseln der Balearen Zuflucht suchen. Denn mit steigenden Temperaturen fällt in Ischgl die Stimmung. Das Leben zwischen Partywahnsinn und Tristesse prägt seit Jahren das Leben im Tal.
Mit einem außergewöhnlichen Projekt will Andreas Steibl dies nun ändern. Steibl ist Geschäftsführer vom Tourismusverband Ischgl und will sozusagen mit leistungsstarken Bikes, die mitten im Ort zum Verleih angeboten werden, die kleine Gemeinde vor dem Dornröschenschlaf bewahren. Im derzeit einzigen markenübergreifenden Motorrad-Testzentrum Europas können Biker-Begeisterte topaktuelle Modelle von BMW, Ducati, KTM, Triumph sowie mit der neuen Nuda 900 nun auch von der italienischen Marke Husqvarna ausleihen.
Zwischen Juni und Ende September stehen am Testzentrum rund 40 aktuelle Motorräder für ganztägige Testfahrten zur Verfügung. Bei Preisen zwischen 60 und 110 Euro – inklusive einer Vollkasko-Versicherung und je nachdem, ob eine Gästekarte vorgelegt wird – können an einem Tag Touren bis in die Schweiz und nach Italien unternommen werden. Etwa 14 ausgesuchte Routen haben die Betreiber zusammen mit dem Touristikverband zusammengestellt. Sie führen entlang der schönsten Bergstraßen Tirols über rund 30 Pässe und zu entlegenen Orten wie dem Dorf Sent in der Schweiz.
Tiroler Traum für Biker
Obschon an manchen Sommertagen Biker aus aller Welt die Serpentinen auf-und-ab fahren, begegnen die Bewohner entlang der Route das Treiben auf der Strasse mit großer Gelassenheit. In fast jedem Ort weisen Schilder ‚Biker Willkommen‘ auf Biker-freundliche Gaststätten hin. Die Unverbesserlichen unter den Zweirad-Freibeutern hingegen werden von der Gendarmerie begrüßt. Nicht jede Geschwindigkeitsübertretung wird geahndet – sofern sie nicht in der Schweiz stattfindet. Doch an beliebten ‚Renn‘-Strecken und an Unfallschwerpunkten kontrollieren die staatlichen Dienste regelmäßig und unbarmherzig.
Doch warum fördert der Tourismusverband Paznau-Ischgl ausgerechnet das Motorradfahren? „In Ischgl haben wir jedes Jahr zur Wintersaison den Hardcore-Tourismus. Da können wir nicht anfangen, im Sommer Wanderkurse anzubieten. Das nimmt uns keiner ab“, weiß Steibl. Zudem sind viele Hoteliers selbst Biker und freuen sich, mit Gleichgesinnten über Touren, Bikes und Abenteuer zu diskutieren.
Bikes und Rukka-Anzüge
Das Projekt High-Bike-Testcenter passt daher bestens zum Konzept. Und es wird von den Gästen angenommen. Seit der Eröffnung im vergangenen Jahr konnte das Testcenter bereits mehr als 1.100 Vermietungen verbuchen. „Viele Gäste kommen mit dem Auto in den Ort, meist mit der Familie“, erzählt uns der Tourismuschef im Gramser Hof, der Anfang Juni allerdings als einziges Hotel geöffnet hat und damit einen Trend setzt. „Andere Hotels werden folgen“, nimmt Steibl unsere Frage vorweg, ob die Einsamkeit im Sommer bald vorbei ist. Denn wenn die annähernd 11.000 Betten, die in Ischgl angeboten werden, leer stehen, prägen nämlich nur noch die knapp 1.600 Einwohner der Gemeinde das Straßenbild.
Während die Kinder also zum Wandern gehen, nutzen die Eltern das Angebot, um das Umland zu erkunden und um nach langer Zeit wieder auf dem Motorrad zu sitzen. „Mittlerweile hat sich das Test-Center auch unter eingefleischten Tourenbiker rumgesprochen. Anstatt mit eigener Maschine quer durchs Land zu fahren, reisen sie bequem an und nutzen in Ischgl die Möglichkeit, die aktuellsten Maschinen zu testen. „Ein weiterer Vorteil ist, dass man sich zudem noch die perfekte Sicherheitsausstattung ausleihen kann“, erzählt Steibl noch, bevor er sich auf der Ducati Diavel auf-und-davon macht.