Mehr als nur das Weinviertel der Österreicher

Das Weinviertel im Nordosten Österreichs steht für eine jahrhundertelange Tradition rund um den Weinbau. Der Grundstock für die Fruchtbarkeit und Blüte des Landes ist in den Tiefen der Böden und seiner Geschichte zu finden. Dabei reicht die Essenz des Weinviertels weit über die Allgegenwart des Weines hinaus. Die landschaftlich reizvolle Region bezaubert ihre Besucher ebenso durch Kultur, Kulinarik und eine ganz besonders gelassene Lebensart.

Wahre Weinliebhaber werden das Weinviertel, in Österreichs größtem Bundesland Niederösterreich gelegen, landschaftlich eingebettet zwischen den Flüssen Donau, Thaya und March, schon immer gekannt haben. Immerhin beschreibt das Weinviertel mit über 16.000 Hektar Rebflächen das größte Anbaugebiet im ganzen Land.

Um da den Überblick über Herkunft und klimatische Einflüsse zu wahren, unterscheidet sich das Weinviertel noch einmal in drei Anbaugebiete, dem Südlichen Weinviertel vor den Toren Wiens gelegen, dem westlichen Teil, um die Stadt Retz gruppiert und das östliche Viertel im Grenzgebiet zu Tschechien und der Slowakei, das sogenannte Veltliner Land. Letzteres schreibt mit seinem Namen das Programm, für das das gesamte Weinviertel seine Bekanntheit erlangt hat: der Grüne Veltliner.
Der Wein, der seit nicht allzu langer Zeit eine regelrechte Renaissance auf dem Weinmarkt erfährt und der das Potenzial birgt, das Weinviertel und seine regionale Kultur weit über die Landesgrenzen Österreichs hinaus bekannt zu machen. www.niederoesterreich.at; www.weinviertel.atwww.veltlinerland.at

Bereits im Jahre 2002 traf das Regionale Weinkomitee den Entschluss den Grünen Veltliner, der mit 50 Prozent aller Rebflächen die Paraderebsorte im Weinviertel stellt, zum Wahrzeichen der Region zu erklären. Unter der Bezeichnung „DAC“ – Districtus Austriae Controllatus – setzen die Winzer des Weinviertels ein gemeinsames Qualitäts- und Herkunftsbekenntnis, das den Weinstil ihres Anbaugebietes im internationalen Wettbewerb als einzigartig herausstellt.

Und so soll der Grüne Veltliner sein, wenn er die strengen Kontroll- und Kostkriterien bestanden hat: hell bis grüngelb, mit einem fruchtig, würzig pfeffrigem Geschmack. „Jeder erinnert sich an die Region, in der er seinen Urlaub verbracht hat, weniger jedoch an die Namen eines jeden Dörfchens, die er bei seinem Aufenthalt passiert hat“, erklärt Alt-Winzer Emmerich Haimer aus Poysdorf das Konzept, für das DAC steht.

Die kontrollierte Ursprungsqualität, unter einem Dach vermarktet, soll nicht nur dem Weinfreund ein jederzeit wiedererkennbares gebietstypisches Geschmacksbild vom trockenen Wein mit wenig Restzucker und einem Alkoholgehalt von mindestens 12 Vol. Prozent zusichern, sondern „der Zusammenschluss“, so Emmerich, „stärkt auch die Gemeinschaft und fördert einen positiven Wettbewerb unter den Winzern in der Region“, das langfristig das Qualitätsniveau positiv begünstigen dürfte. www.weinvierteldac.atwww.poysdorf.at

Inzwischen beginnt das vor rund zehn Jahren begonnene Konzept Früchte zu tragen. Wurde der Grüne Veltliner über Jahrzehnte eher stiefmütterlich betrachtet, ist der Weißwein heute Österreichs Vorzeige-Rebsorte, die bis in die Speisekarten der Top-Gastronomie, auch international, vorgedrungen ist. Ein cleverer Schachzug der Weinviertler somit, die Herkunft ihrer Weinrarität, die Traube wird außerhalb Niederösterreichs nur sehr selten kultiviert, mit einer eigenen Marke zu belegen.

Denn die Regionalinitiative geht genau zum richtigen Zeitpunkt auf: Es liegt im Trend die globalen Märkte zu beachten, aber dabei regional zu handeln. Verbraucher, insbesondere im stark globalisierten Lebensmittelmarkt, sehnen sich wieder nach Regionalität und Ursprünglichkeit, das mit Vertrauenswürdigkeit und Genuss verbunden ist.

Dass heute im Weinviertel die Kunst des Genusses perfektioniert wird, ist den fruchtbaren Böden aus Lehmlöss zu verdanken, ein Erbe, das bis zu 17. Millionen Jahre zurückreicht, als die Standorte der heutigen Weinbaugemeinden noch im Urmeer lagen und sich im weiteren Verlauf der Erdgeschichte durch Verwitterungen, Anschwemmungen, und insbesondere Gletschererosionen und Windverfrachtungen der letzten Eiszeit zu den Böden bildeten, die eine Kultivierung ermöglichten.

Rund 2.000 Jahre ist es her, dass erste Siedler sich an diesem, mit großzügigen natürlichen Ressourcen ausgestatteten Landstrich niederließen. Seither haben die Weinviertler vielerorts die Reberziehung und Vinifikation zur Perfektion gebracht: Ausgangsgestein und kleinklimatische Einflüsse beschreiben zusammen mit der handwerklichen Tradition der Winzer und den Einflüssen des Önologen ein unverwechselbares, charismatisches Terroir. Im Sedimentgestein unter den Rebflächen finden sich übrigens noch heute Muscheln, Kreide und versteinerte Meeresschnecken. Wer sich für Mineralien, Fossilien und Naturgeschichte begeistert, kann in der „Fossilienwelt Weinviertel“ viele interessante Entdeckungen machen. www.fossilienwelt.at

Die Weinviertler wissen ihren Boden allerdings nicht nur zum Weinanbau zu nutzen, sondern auch zur Weinproduktion und -lagerung. Der Lössboden erlaubt es mit recht geringer Mühe stabile Kellerröhren ins Erdreich zu treiben. Entstanden ist so ein einzigartiges Weinkulturgut, die die niederösterreichische Weinlandarchitektur unvergleichbar macht: Die Kellergassen. Hierbei handelt es sich um Gassen oder Hohlwege, die einst um die alten Dorfkerne herum entstanden sind, und Zugang zu ausgedehnten Kelleranlagen, die fallweise hunderte Meter tief unter Tage verlaufen, bieten. Die Kellereingänge sind zumeist nur wenige Meter breit, kommen mit einer Kellertür aus und integrieren sich in die Natur.

Nur selten wurden die Gassen auch mit Wohnhäusern und Presshäusern belebt, dennoch entstand eine unverwechselbare Dorfkultur um die Kellergassen herum, die zum Sinnbild für das gesamte Weinviertel geworden sind. Begonnen hat das Weinleben in den Kellergassen im Zuge der Liberalisierung des Weinbaus durch Maria Theresia und Ihren Sohn Kaiser Joseph II im 19. Jahrhundert. Heute haben die Keller ihre Funktion als Produktionsstätten meist eingebüßt, die Weinkultur und Architektur ist jedoch erhalten geblieben. Fast 1.100 Kellergassen existieren im gesamten Weinviertel und bieten wunderschöne, verträumte und romantische Eindrücke, die sich bei einem Spaziergang durch die Gassen erschließen lassen.

Wer mehr über die entspannte Lebensart der Weinviertler wissen möchte und tiefer in die ganz eigene Welt unter den Weinbergen eindringen möchte, bucht am besten eine der zahlreichen Kellergassenführungen vor Ort. Ein ganzes besonderes Erlebnis bietet der Keller von Gottfried Umschaid in Herrnbaumgarten, der in jahrzehntelanger Arbeit zu einem unterirdischen Kellerlabyrinth ausgebaut wurde, und deren endlose Abteile aus Weinflaschen den Anblick eines jeden Besucher fesseln, nicht nur im Winter, wenn hier sogar rauschende „Erdbälle“ in den Tiefen der Erde stattfinden. www.umschaid.at

Wer hingegen lieber über Tage die Schätze des Weinviertels genießen möchte, dem sei eine Weinprobe ans Herz gelegt. Eine große Anzahl von kleinen Familienbetrieben finden sich im Weinviertel, die sich der Weinkultur und dem regionalen Brauchtum verschrieben haben. Die 400km lange Weinstraße weist den Weg durch das Weinviertel und führt an rund 700 Weinstraßen-Betrieben vorbei, vom Winzer über Heurige bis zu Weingasthöfen, so dass sich für jeden Geschmack der richtige Tropfen finden lassen dürfte.
Ein besonderer Tipp ist hierbei der Besuch einer der mehreren im Weinviertel ansässigen Vinotheken, die eine für die Weinviertlerorte und -gebiete typische und selektive Auswahl an Weinen bereit halten und die vor Ort verkostet und direkt zu Ab-Hof-Preisen mitgenommen werden können. Design-affine Weinliebhaber werden besonders das „Weinquartier“ in Retz und das „Wino“ in Poysdorf zu schätzen wissen. Neben dem Grünen Veltliner ist das Weinviertel für seinen Weißburgunder, Riesling, Eiswein und Zweigelt bekannt, die neben einer Auswahl an weiteren erlesenen Weinsorten probiert und mit allen Sinnen genossen werden können. www.weinstrassen.at; www.weinquartier.at; www.wino.at

Für all diejenigen, die ihren Gaumen nicht nur mit vinophilen Genüssen verwöhnen möchten, ist das Weinviertel ebenso für seine preisgekrönte Sterne-Gastronomie zu empfehlen. Das Besondere der österreichischen Haubenköche ist ihre Bodenständigkeit und das Bewusstsein für regionale Produkte, die sie mit ihren kulinarischen Ambitionen zu verbinden wissen.

Ein ganz besonderes Highlight dieser Art findet in diesem Sommer, bis einschließlich zum 13. August 2011, beim sogenannten „Tafeln im Weinviertel“ unter freiem Himmel statt, bei dem die besten Köche des Weinviertels vor abwechselnden, ausgewählten Kulissen qualitativ hochwertige regionaltypische Zutaten zu geschmacksintensiven Menüs zusammenstellen. Die Auftaktveranstaltung zu dieser köstlichen Veranstaltungsreihe am 10. Juni im bezaubernden „Museumsdorf Niedersulz“ hat bereits überzeugt und vermittelt, dass das Weinviertel nicht nur ein Land des Weines ist, sondern ebenso für Genuss, Kulinarik und Kultur steht. Und bereits heute steht fest, dass dieses exklusive Versprechen auch im nächsten Sommer weiter fortgeführt werden soll. www.tafeln-im-weinviertel.at; www.museumsdorf.at

Dabei geht im Weinviertel alles ganz entspannt und gelassen zu. Hier zu Lande weiß man bereits seit Jahrhunderten, das wenn etwas gut werden soll, es dafür seiner Zeit bedarf. Das Weinviertel ist ein Ort zum Auftanken. Wer den Blick über die weite, hügelige grüne Landschaft streifen lässt, könnte beinahe annehmen, das Weinviertel sei gerade erst aus einem Dornröschenschlaf erwacht. Natur, Kultur und Menschen klingen im Einklang. Wer Ruhe und Beschaulichkeit sucht, wird im Weinviertel reich belohnt werden.

Es kann somit kein Zufall sein, dass der Jakobsweg auch durch das Weinviertel führt. Und nicht selten suchen die Hauptstädtler ihre ganz persönliche Entschleunigung in der Unversehrtheit der Weinlandschaft, die von Wien aus mit dem Auto schnell zu erreichen ist. Ebenso wie es zu früheren Zeiten bereits Kaiserin Sissi tat. Indizien weisen darauf hin, dass sie im Weinviertel verweilt hat. Sie nutzte die Region als Zufluchtsort, abseits des höfischen Lebens, an dem sie Entspannung, Erholung und Regeneration fand.

Auch heute ist das Weinviertel immer noch ein Ort, an dem ein jeder all diese Eigenschaften inmitten einer reizvollen Landschaft und unberührten Natur, vielleicht schon im nächsten Urlaub, finden kann. Und das zu jeder Jahreszeit. Ein Weinkeller kennt nämlich weder Sommer noch Winter.

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