Kinder haben das Talent, Bilder mit abenteuerlichen Geschichten zu verknüpfen. Sie zu hinterfragen ist spannend, mitunter aber auch undurchschaubar. Alle Augenblicke ändern sich Handlung und Dramatik. Ich weiß also nicht, was Nils sich beim Lesen des Buchs über den Opel GT denkt. Seit fast einer Stunde durchblättert er das mächtig große Buch durch – mal mehrere Seiten vor, mal zwei, drei Seiten zurück. Um anzumerken, dass ihm diese „Sportversion des GT von Irmscher“ besonders gut gefällt. Oder diese von „Conrero“. Sein jüngerer Bruder würde natürlich alle Modelle haben wollen, die seit 50 Jahren peu-a-peu auf den Markt gekommen sind. Für jeden Modelljahrgang hat er eigenes „brrrrrrrmmmmm –quischt“ parat. Auch für die Elektro-GT-Variante!
Jens Copper und Harald Hamprecht haben sich große Mühe gegeben, das wohl bemerkenswerteste Automodell aus den Rüsselsheimer Werkhallen zu portraitieren. Dabei lernten beide Autoren im Jahr 1965 vermutlich erst das Laufen, als Opel mit dem Sportwagen GT Experimental auf der Internationalen Automobilausstellung in Frankfurt für eine Sensation sorgte. Sicher aber dürften beide beim ersten Anblick ebenso ins Schwärmen gekommen sein, wie das Publikum vor Ort. Ein halbes Jahrhundert später fasziniert die scheinbar zeitlose Formgebung das Ich des Betrachters. Nun versammelt sich die ganze Familie ums Buch.
Es ist das Jahr des automobilverrückten Mannes. Davon sind zumindest die Redakteure der „New York Times“ überzeugt, die sich im März 1965 mit dem besonderen Verhältnis des Mannes zum Automobil befassen. „Der Mann liebt sein Automobil“, ist schlussendlich die Kernaussage des Beitrags, der darüber hinaus noch eine weitere bemerkenswerte Erkenntnis parat hat: „Ein Wagen ist im Grunde eine Sammlung weiblicher Charaktereigenschaften. Wie eine Frau ist er teuer in der Unterhaltung“. Das Buch mit seinen 304 Seiten und 445 Farbfotos kostet im Buchhandel 49,90 Euro und ist im Delius Klasing Verlag erschienen.
Das Jahr 1965 sollte für viele Singles der Beginn einer wilden und rasanten Zeit werden. Zu „Baby, you can drive my car“ folgten viele der versteckten Botschaft zur unverhüllten Freizügigkeit. Der Bahn gelang es erstmals auf der Bahnstrecke München-Augsburg ein Tempo von über 200 km/h mit einem fahrplanmäßigen Schnellzug, der Liter Normalbenzin kostet 57,3 Pfennig, Esso wirbt mit dem Tiger im Tank und die nordrhein-westfälische Landesregierung stellt einen Smog-Plan auf. Die Opel-Gemeinde aber fiebert dem ersten GT entgegen. Dieser ist nämlich ebenso „sexy. Sportlich, und dazu elegant. Verführerisch, flott und gegehrt“, schreibt uns Delius Klasing.
Wer die ganze Geschichte des GT erfahren möchte, blättert das umfangreiche Buch im Großformat „GT Love“ Seite für Seite durch. Copper und Hamprecht haben sich für den Schmöker in zahlreichen Archiven umgeschaut und teils erstaunliche Fakten zusammengetragen. Sie fanden erste zeichnerische Entwürfe, die wohl um 1962 entstanden sind, Aufnahmen von Tonmodellen und Prototypen, die einen seltenen Einblick die Arbeit der Automobilkonstrukteure geben. Auch Reproduktionen von Werbematerial aus den 1970er Jahren schmücken das Buch ebenso wie seltene Bilder aus allen Perspektiven des Fahrzeugs in allen möglichen Farben.
Weil Reiseberichte mit dem GT genauso zum Gesamtkonzept Sportautomobil gehören, haben die Autoren auch amüsante Erzählungen über Trips durch Kalifornien, einer Fahrt von Hamburg ans Nordkap oder aber einer 26-Pässe-Fahrt eingebunden. Natürlich kommen auch jene Persönlichkeiten zu Wort, die GT-Legende erst geschaffen haben.
Für 10.767 D-Mark gab es den sportlichen Zweisitzer mit flacher Schnauze und Klappscheinwerfern, dessen „Komfort nicht sonderlich gut ist, die Klimatisierung schwach, der Gepäckraum quasi nicht existent“. So erklärte Bob Lutz als junger Vertriebsdirektor bei Opel den GT. Als ehemaligen Kampfbomberpilot war er aber einer seiner größten Fans. Auch Ex-Opel-Chef Karl-Thomas Neumann wollte kleiner Junge den Opel GT fahren: „Wenn ich mal groß bin, muss ich dieses Auto haben. Diesen Wunsch habe ich mir erfüllt“
Mit den knapp 60 PS, die der Opel GT 1100 mit seinem 1100-cm³-Motor leistete, wäre er sogar auch zufrieden gewesen. Der Opel GT 1900 aber mit 90 PS und einer Höchstgeschwindigkeit von 185 km/h war wesentlich erfolgreicher. Auch deshalb wurde der relativ unbeliebte GT 1100 schon 1970 eingestellt. Insgesamt wurden von 1968 bis zur Produktionseinstellung im Jahr 1973 rund 103 460 Einheiten gebaut – mehr als 80.000 Einheiten wurden in die USA exportiert.