An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass eine Führung in den Kellergewölben der Pilsner Urquell Brauerei in der Regel 50 Minuten dauert und im Jahr von sehr vielen der rund einer Viertelmillionen Brauerei-Touristen gebucht wird. Reservierungen für Gruppen sind daher empfehlenswert. Weil wir aber an Václav Berka zahlreiche Fragen hatten, dauerte unsere Führung eben länger. Václav Berka ist nämlich Senior-Braumeister und mit den Geheimissen der Pilsner Braukunst bestens vertraut. „Gutes Wasser, guter Hopfen und edle Hefe“, antwortet er auf unsere Frage nach dem Besonderen am Pilsner Urquell. Die Antwort würden wir vermutlich von jedem Braumeister erhalten. Dennoch kann Pilsner Urquell auf ein eigenes Wasserreservoir zurückgreifen. Dies bildet, so Berka, wegen seines besonders geringen Gehalts an Mineralstoffen und natürlichen Salzen die Grundlage für das untergärige Gebräu.
Den Goldton bekommt das Pils allerdings vom hellen Malz, der von „einer speziellen Gerstensorte“ gewonnen wird. Mehr wird nicht verraten. Nur so viel, dass es sich um eine zweizeilige Gerste mit einer feinen Hülse handelt, die von Äckern tschechischen Ursprungs kommen. Und diese Gerste wird in riesigen Behältern, die in der oberen Etage des alten Brauereigebäudes stehen, mit Wasser geflutet und später langsam auf die darunterliegenden Trockenbänder geleitet. Die gekeimte Gerste wird anschließend getrocknet und geröstet. Erst später wird sie mit Hopfen gewürzt.
Hopfenpflücken im Böhmischen
Auch diese Zutat ist geheimnisumwittert. Doch während unseres Aufenthalts konnten wir vor Ort wesentliche Fakten der wohl teuersten Hopfensorte recherchieren. Angebaut wird sie in der Gegend um Žatec (Saaz) in Böhmen unweit von Pilsen auf einer auffallend roten Erde. Weil die Fahrt dorthin nur etwa eine Stunde dauert, wurden wir für den Vormittag zur Hopfenernte eingeteilt. Heute wird der Hopfendolden maschinell eingefahren. Wie sonst wäre der Preis von rund 7000 Euro pro Hektar, die Zdeněk Rosa bekommt, wirtschaftlich zu vertreten? Rosa ist Vorstandsvorsitzender von Bohemia Hop, dem größten tschechischen Hopfenproduzenten. Was wir nach etwa 30 Minuten von den bis zu 4 Meter hohen Hopfenpflanzen an Doldenhopfen ernten, reicht zwar bereits für wenige Pils. Für den halbvollen Korb sorgsam gepflückter Dolden würden aber nur wenige Cent bekommen.
Das bessere Geschäft wäre, alles über die sagenumwobene Hefe zu erfahren. Die wird zwar nicht als Zutat beigemischt – nach getaner Arbeit wird sie wieder entnommen. Doch die Art und Weise wie dieser spezielle mikroskopische Pilz den Zucker in Alkohol verwandelt gibt dem Pilsner Urquell seinen markanten Geschmack. Wie und in welchen Mengen Braumeister Berka die Hefe der Anstellwürze zusetzt, um den Gärprozess in Gang zu bringen, darüber schweigt er.
Geniestreich des bayerischen Braumeisters Groll
Überliefert ist nur, dass es sich um einen einzelnen Hefestamm der H-Hefe handelt, dessen Stammbaum bis zu der von Josef Groll 1842 verwendeten Originalhefe zurückreicht. Und das die Hefe jeden Monat in der Brauerei vermehrt wird. Zudem wird die Hefe, die sich während des Gärprozesses auf dem Boden des Gefäßes absetzt, entnommen und wiederverwendet. Damit dürfte das Pils, das wir später noch trinken werden, genau SO dem Braumeister Groll geschmeckt haben. Er wurde übrigens im Frühjahr 1884 von dem Pilsner Baumeiter Marin Stelzer zum wichtigsten Mann der Brauerei berufen.
Dass der gebürtige Bayer Groll dann wenigen Wochen später mit einem Geniestreich das untergärige Pils zum Welterfolg führte, war auch dem Umstand geschuldet, dass die Bierqualität am Anfang des 19. Jahrhunderts derart schlecht war, dass es fast zu einem Aufstand kam. In einer konstatierten Aktion gossen einige brauberechtigte Bürger Pilsens tausende Liter ungenießbaren Bieres auf den Marktplatz und forderten den Bau einer neuen Brauerei. Das „Bürgerliche Brauhaus“ entstand und bot seinerzeit schon die technischen Voraussetzungen für die Herstellung des moderneren untergärigen Bieres.
Böhmische Lenden zum Pilsner Urquell
Das klare herbe Bier passte damit bestens zu den Köstlichkeiten der Böhmischen Küche, also der Küche des westlichen Landesteils der heutigen Tschechischen Republik. Und das besteht in der Regel immer aus Schweinsbraten mit Sauerkraut und mit Kümmel gewürzten Knödel. Zwar sind die Pilsner auch Stolz auf die Ähnlichkeiten vor allem mit der österreichischen Küche und ungarischen Küche. Doch scheinen sie sich insbesondere mit der eigenzubereiteten Art und Weise eines Lendenbraten vom Rind besonders empfehlen zu wollen. Dieses wird mit einer sämigen Sahnesauce gereicht, die mit passiertem Gemüse, das vorher zum Fleischeinlegen diente, angereichert ist. Wir bekamen zur Stärkung nach der Hopfenernte aber auch Fisch serviert.