So vertreiben Mercedes-Ingenieure Allergene

Es gibt Autos, da Juckt es beim Einsteigen ein. Allerdings nicht vor Vorfreude. Denn Ausdünstungen der Materialien im Interieur sowie Berührungen mit Kontaktstoffen können zu einer verstärkten Abwehrreaktion mit Krankheitssymptomen wie Schwellung und Entzündung der Nasenschleimhaut, Heuschnupfen oder Asthma führen. Allergiegeplagte Autofahrer kämpfen also nicht nur mit dem Pollenflug im Frühjahr.

Für den Stuttgarter Automobilhersteller Mercedes-Benz Anlass genug, den Ursachen auf den Grund zu gehen. Neben umfangreichen Tests auf Inhalations- und Kontaktallergene analysiert Mercedes-Benz seit 22 Jahren die Innenraumemissionen aller Baureihen. Und ein Team aus Olfaktorik-Experten sorgt für ein gleichbleibend angenehmes Geruchsniveau in Mercedes-Benz Fahrzeugen.

Mit Erfolg: Der Autohersteller erhält für seine Pkw-Modelle das Qualitätssiegel der Europäischen Stiftung für Allergieforschung (ECARF – European Centre for Allergy Research Foundation). Damit werden Produkte ausgezeichnet, deren Allergikerfreundlichkeit wissenschaftlich überprüft wurden.
Vermeidung von Allergenen
Die neue C-Klasse ist im Übrigen das jüngste Modell von Mercedes-Benz, das das ECARF-Qualitätssiegel erhalten hat. Die Bedingungen des Zertifikats erfüllen alle in den letzten Jahren auf den Markt gebrachten Baureihen von der A- bis zur S-Klasse. Auch für alle künftigen Pkw-Baureihen von Mercedes-Benz stehen die Kriterien des ECARF-Siegels im Lastenheft.

Neben der Vermeidung von Allergenen geht es um die Reduktion der Innenraumemissionen sowie um ein gleichbleibend angenehmes Geruchsniveau. „Seit 1992 messen wir die Innenraumemissionen unserer Fahrzeuge und konnten sie kontinuierlich reduzieren“, so Dr. Breuer. „Heute gibt es einen strengen internen Grenzwert, den alle Mercedes-Benz Pkw erfüllen müssen, Kompaktfahrzeuge und Roadster ebenso wie große Kombis und SUV-Modelle.“

Aktuell beschäftigt sich ein gutes Dutzend Experten in Entwicklung und Werkstofftechnik mit der Qualität der Innenraumluft in neuen Modellen. Im kommenden Jahr wird das Team zudem ein neues Testzentrum im Mercedes-Benz Technology Center in Sindelfingen beziehen.
So prüft Mercedes-Benz die Innenraumemissionen
Schon in der frühen Entwicklungsphase eines Fahrzeugs, bis zu sechs Jahre vor Produktionsstart, wird beim Werkstoff-Konzept auf eine Minimierung der Innenraumemissionen geachtet. Bereits 1996 hat Mercedes-Benz in internen Normen Emissionsgrenzwerte festgelegt für Materialien, die für Bauteile im Fahrgast- und Kofferraum verwendet werden. Heute befinden sich rund 8000 von der Fachabteilung freigegebene Interieurmaterialien in einer Datenbank, aus der Designer und Entwickler wählen können.

Steht der Serienstart eines neuen Modells unmittelbar bevor, werden die Innenraumemissionen in aufwendigen Verfahren geprüft. Seit 1992 führt Mercedes-Benz diese Analysen durch. Bei der Bauteilmessung werden zahlreiche Komponenten pro Ausstattungsvariante einer Baureihe getestet – Türverkleidungen und Sitze ebenso wie Dachhimmel oder Zierteile. Um einen realistischen Eindruck zu bekommen, werden dabei keine Musterteile, sondern serienfallende Teile, also mit dem später in der Serienproduktion eingesetzten Werkzeug produzierte Teile, verwendet.
Aufwendiges Prüfen des Gesamtfahrzeugs
Noch aufwendiger ist die Untersuchung des Gesamtfahrzeugs. Allein für die entsprechende Vorbereitung des Fahrzeugs, also die Bestückung mit dem Messequipment, benötigt das eingespielte Team eine dreiviertel Stunde, die Messungen selbst dauern eine volle Woche. Die Prüfkammer ist mit Edelstahl ausgekleidet, um Eigenemissionen zu vermeiden. Große Wärmestrahler simulieren die Sonne und heizen den Fahrzeuginnenraum auf. Denn unter Hitzeeinwirkung ist das Emissionsverhalten aus physikalischen Gründen stärker. Die Bestrahlungsstärke ermitteln dabei so genannte Pyranometer.

Im Fahrzeuginnenraum erfassen bis zu zehn Messfühler die Temperaturen in verschiedenen Bereichen wie beispielsweise der Oberseite des Armaturenbretts. Ein sich drehendes Paddel wirbelt die Innenraumluft durcheinander und sorgt für eine gleichmäßige Durchmischung. Die Gesamtemission im Fahrzeug wird mit Hilfe eines Messracks mit Flammenionisationsdetektor ermittelt. Das Rack ragt über die geöffnete und mit Alufolie luftdicht und emissionsneutral verkleidete Seitenscheibe des Fahrers in den Innenraum.
Allergieversuche mit Probanden
Neben diesem statischen Versuch wird in weiteren Versuchsreihen das Emissionsgeschehen im Innenraum bei der Nutzung des Fahrzeugs untersucht. Diese Versuche finden bei laufendem Motor und eingeschalteter Klimaanlage statt, mit und ohne Umluftschaltung. Außerdem wird einmal pro Messzyklus die Fahrertür geöffnet, um das Einsteigen zu simulieren.

Hinzu kommen Probandenversuche. So fanden Fahrversuche mit an starkem Asthma leidenden Personen statt, bei denen Lungenfunktionstests Aufschluss über die Belastung des bronchialen Systems gaben. Zusätzlich wurden alle Materialien mit potentiellem Hautkontakt dermatologisch überprüft. Bei so genannten Epikutan-Tests wurden dabei an Kontaktallergien erkrankte Versuchspersonen auf die Unverträglichkeit bekannter Kontaktallergene wie Chromnickel und Farbstoffe getestet. Dazu wurden Substanzen aus dem Innenraum als potenzielle Allergene mit Pflastern für 72 Stunden auf die Haut geklebt und die Reaktion darauf nach 48 und 72 Stunden ausgewertet.

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